Veranstaltungen
Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt No 8
Die Stadt wird als Original geboren — und stirbt als Kopie
Vortrag von Max Moor
(Fernsehmoderator)
Als ein Mensch, der sich beruflich auf verschiedene Weise mit Kultur auseinandersetzen darf, als Kultur- Magazin-Moderator, oder als im weitesten Sinne Kultur-Schaffender, als Autor, Schauspieler, Hörbuch-Sprecher und nicht zu vergessen als Bauer, sprich Agri- Kulturist, als ein solcher Mensch bin ich der Stadt und dem urbanen Leben durchaus zugetan. Natürlich begeistert mich das unglaubliche Potenzial von Lebensformen und kulturellen Entwicklungen, welches die Stadt bieten kann. Das zu betonen ist mir wichtig. Vielleicht gerade weil ich das Privileg habe, auf dem Land zu leben.
Nun ist es allerdings so, dass mir meine Freunde in letzter Zeit immer öfter zu verstehen geben, ich würde mich mit fortschreitendem Alter, langsam aber sicher zu einer Mischung aus „Grumpy Old Man“ und „abgeklärtem Almöhi“ entwickeln. Was sie damit sagen wollen ist vermutlich, ich sei rücksichtsloser geworden, was das Wohlgefallen meiner Mitmenschen betrifft, ein wenig gnadenloser mit manchen Zuständen, die ich für Missstände halte. Und sie haben recht: Ich nehme mir in der Tat die Freiheit, mir eine schönere Welt nicht nur zu wünschen, sondern sie auch zu verlangen.
„Was macht eine Ansammlung von Gebäuden zur Stadt?“ Das ist die Frage die sich heute stellt. Sie wird nie wirklich zu beantworten sein. Aber es lohnt sich natürlich, ihr nachzuspüren. Ebenso wie der Frage: was macht eine Ansammlung von Buchstaben und Sätzen zur Literatur? Gute Literatur, sagt man, sei zeitlos und daher immer modern. Gilt das auch für Städte? Und wenn ja, was heißt das konkret?
Städte und Literatur haben etwas gemeinsam. Sie erzählen Geschichten von Menschen. Es sind Geschichten von Schicksalsgemeinschaften. Stadtteile leben davon, dass die Menschen sich mit ihnen identifizieren, ein Wir-Gefühl entwickeln. Das ist auch heute noch zu erleben in der größten Stadt Deutschlands, die gerne mit New York verglichen wird, in Wirklichkeit aber das Gegenteil ist, nämlich keine klassische Metropole. Berlin ist ja eigentlich eine zusammengefasste Ansammlung von ehemaligen Dörfern. Mit jeweils eigenem Lebensgefühl und eigener Identität. Ich ahne, dass das vielleicht der Schlüssel sein könnte. Das Wir-Gefühl. Das Mein-Kiez-Gefühl. Aber wie bekommt man das hin? Wie haucht man einer Ansammlung von Gebäuden ein bestimmtes Lebensgefühl ein. Kann man das planen, verursachen, herstellen? Wohl kaum. Es muss sich aus sich selbst heraus entwickeln. Sowie das Leben in einem Feuchtbiotop sich scheinbar aus sich selbst heraus entwickelt. Die Vielfalt des Lebens kann man nicht planen, wohl aber das Biotop, in dem es sich womöglich entfalten kann.
Was also ist die Essenz, was ist der Nährboden für das lebendige Biotop Stadt?
Ich behaupte: die Stadt wird als Original geboren — und stirbt als Kopie.
Der Nährboden der Stadt sind ihre Menschen, nicht ihre Funktionen. Es sind die gemeinsamen Träume, die gemeinsamen Sehnsüchte und Wünsche der einzelnen Bewohner. Stadt entsteht aus einer gemeinsamen Bewegung. Aus der Sehnsucht nach einem Wir-Gefühl. Letztlich ist die Stadt das Ergebnis einer verbindenden Sehnsucht.
Die Welt da draußen wird immer komplexer und unübersichtlicher. Die Sehnsucht nach überschaubaren Strukturen ist größer denn je. Die Sehnsucht nach kleinteiligen Problemlösungen, nach überschaubarer sozialer Umgebung. Wo Menschen leben, darf es nicht groß und einheitlich durchgeplant sein. Die schönsten Städte Europas zeichnen sich durch kleinteilige Strukturen aus, die Nachbarschaft und Intimität noch zulassen.
Die Stadt wird als Original geboren, und sie stirbt als Kopie.
Wir leben so selbstverständlich in Kopien von Kopien von Städten, dass wir vergessen haben, wie die Originale entstanden sind. Schaffen wir für spätere Bewohner, egal woher sie kommen, wieder den Freiraum eigene, originale Identitäten zu entwickeln und zu leben, den Städten wieder ihren ureigenen Original-Stempel aufzudrücken. Und Ihre eigenen gemeinsamen Träume zu.. ja, zu LEBEN.