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Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt No 4

Vortrag von Jörg Hartmann

Schauspieler

Guten Mor­gen, meine Damen und Her­ren, liebe Architek­tin­nen, liebe Architek­ten, liebe Gestal­terin­nen und Gestal­ter unser­er Städte!

Bevor ich mich Ihnen richtig vorstelle, eine Frage: Ken­nen Sie Bodo Wartke? Ein wun­der­bar­er Kabaret­tist und Sänger, der ein Lied über „Architek­tur in Deutsch­land“ geschrieben hat. Zur all­ge­meinen Auflockerung singe ich Ihnen das ein­fach mal vor …

Ich finde ja, Deutsch­land entwick­elt sich stetig
zu einem Vor­bild an Schön­heit und Ästhetik.
Man schaue heute ein­mal nur
auf unsere Nachkriegsarchitektur.
Die ist so schön prak­tisch und so pragmatisch,
jed­er Bau groß und grau und quadratisch.
Der Sozial­is­mus mag gescheit­ert sein,
in die Architek­tur fließt er heit­er weit­er ein.
Wir nehmen als Baumaterial
heute nicht mehr Asbest, son­dern Glas, Beton und Stahl.
Mate­r­i­al, das bestens Wet­ter, Wind und Regen trotzt
und leicht zu reini­gen ist, wenn mal ein­er ’gegen kotzt.
Wir brauchen keine opulenten
Häuser mehr wie früher mit Stuck und Ornamenten.
Nein, ein Gebäude ist heute ideal,
wenn es schön bil­lig ist, beliebig und banal.
Wozu raf­finierte Gemäuer?
Wer soll die bezahlen? Die sind doch viel zu teuer.
Und selb­st wenn mal ein Gebäude richtig Kohle kostet, dann
sieht man es ihm über­haupt nicht an.
Denn unser Baustil ist so herz­er­frischend sach­lich, so schlicht und völ­lig frei
von jeglichem alt­modis­chen Schwachsinn wie Liebe zum Detail.

Im Zweifels­falle bauen wir statt ’nem far­ben­fro­hen Haus
lieber noch ’nen Plat­ten­bau im sat­ten Grau – wat’n Augenschmaus!
Aus diesem Grunde sieht es heut in Deutsch­land so schön karg aus.
Alles voll mit Häusern, die ausse­hen wie ein Parkhaus
oder wie ein Bau­markt. Daher auch der Name „Bauhaus“.
Mit einem Unter­schied: Ein Bau­markt sieht nicht ganz so grau aus.
Ausse­hen ist ja schließlich auch nicht das, worum es geht.
Es geht in Deutsch­land lediglich um Funktionalität.
Wenn zum Beispiel ein­er, der sich umzubrin­gen droht,
von so ’nem Hochhaus run­ter­springt, ist er auch wirk­lich tot.
Und weil wir uns an unseren geilen Klötzen so ergötzen,
wer­den wir nicht müde, über­all neue hinzusetzen.
Dabei acht­en wir natür­lich darauf, dass
davon möglichst kein­er in die Umge­bung passt,
wie etwa unsere Shop­ping­cen­ter. Sind die nicht schön?
Und wie prak­tisch, dass sie fak­tisch alle gle­ich ausseh’n.
So wer­den wir da drin viel schneller fündig, wenn
wir mal in ein Spezialgeschäft woll’n – wie H&M.
Oder Büro­ge­bäude. Mit großer Freude
bauen wir dauernd neue klo­bige Bürogebäude.
Es gibt ja auch im Grunde nichts, was
wir in Deutsch­land drin­gen­der benöti­gen als das.
Nehmt euch ein Beispiel an unseren Architekten!
Vor ihren keck aus­ge­heck­ten Objekten
wer­den wir mit offen­em Mund auch noch in hun­dert Jahren steh’n
und ver­wun­dert sagen: „Oh mein Gott! Wie schön! Wunderschön!“

(Schön, dass Sie lachen kön­nen. Wenn das jetzt’n Rohrkrepier­er gewor­den wäre …)

Mein Name ist Jörg Hart­mann, ich bin wed­er Architekt noch Städteplan­er (und auch kein Sänger). Im Pro­gramm ste­ht, ich bin Tatort-Kom­mis­sar. Na ja … Was unser The­ma bet­rifft, bin ich auf jeden Fall ein ganz nor­maler Bürg­er. Ein Laie. Aber Architek­tur und Städte­bau sind eine Lei­den­schaft von mir. Von daher freut und ehrt es mich wirk­lich sehr, dass ich hier und heute ein paar Sätze dazu sagen darf. Her­zlichen Dank dafür!
Wis­sen Sie, gute Architek­tur und guter Städte­bau kön­nen mich richtig glück­lich machen. Ich brauche schöne Städte, ich sauge sie auf wie schöne, unberührte Natur oder ein gutes Essen. Sie geben mir Kraft. Hässliche Städte machen mich trau­rig, wütend und aggres­siv. Über schlechte Architek­tur und schlecht­en Städte­bau kann ich mich so unglaublich aufre­gen, eigentlich viel mehr als über schlechte
Schauspielerei.

Und das liegt natür­lich daran: Wenn ich einen schlecht­en The­at­er­abend sehe oder einen grauen­vollen Film, kann ich ein­fach abhauen. Ich muss mir den Schrott ja nicht weit­er anguck­en. Beim gebaut­en Schrott hab ich diese Wahl aber nicht. Abhauen bringt da nichts. Der umgibt mich näm­lich über­all. Fast über­all. Also, muss ich jet­zt auf ewig lei­den, oder wie oder was!? Will ich aber nicht! Ich hab näm­lich schon als Kind gelit­ten. (Also unter gruseli­gen Stadt­bildern, meine ich.) Aufgewach­sen bin ich in Herdecke an der Ruhr. Herdecke ist trotz der mich prä­gen­den, sozialdemokratis­chen Abriss­birne in mein­er Kind­heit immer noch ein ganz hüb­sch­er Ort. Aber wenn’s darum ging, Omma und Oppa zu besuchen, mussten wir immer nach nebe­nan, nach Hagen. Hagen, meine Damen und Her­ren, hat eine Menge zu bieten. Ein pit­toreskes Stadt­bild … gehört nicht dazu! Schon als Kind wollte ich da immer nur ganz schnell wieder weg, und das hat­te nix mit Omma und Oppa zutun. Ne, ne, durch die Stadt zu fahren – vor allem durch die Innen­stadt – fand ich ein­fach nur trost­los. Um die Hagen­er zu beruhi­gen: Das ging mir in Dort­mund, Bochum, Essen, Köln etc. nicht anders. Aber warum war das so?

Irgend­wann, Anfang der Achtziger, kam ich als Jugendlich­er nach Budapest und ich war völ­lig beein­druckt, ich dachte: Jess­es Maria, so kann Stadt also auch ausse­hen! Und nach dem Fall der Mauer durfte ich plöt­zlich die ruinösen, aber wun­der­schö­nen alten authen­tis­chen Stadt­bilder in Ost­deutsch­land ent­deck­en. Stadt­land­schaften, die man im West­en mit der Lupe suchen musste. Gör­litz, Wis­mar, Altenburg, Schw­erin, Erfurt, und so weit­er, und so weiter.

Ich habe mich sog­ar so lei­den­schaftlich in Dres­den verk­nallt (also, in die Stadt, meine ich!), dass ich sie mir nicht mehr ohne Frauenkirche vorstellen kon­nte und wollte, und ich schließlich Mit­glied im Wieder­auf­bau­vere­in wurde. Und als die stein­erne Kup­pel endlich wieder stand, war’s für mich völ­lig nor­mal, und ich dachte nur: Ja, die muss hier ein­fach ste­hen! Falls Sie jet­zt denken: Oh, Jess­es, ein Rekon­struk­tions­fre­und! – dann sag ich: Ja, genau; das hab ich mich ja auch gefragt: Geht denn das? Darf ich das über­haupt? Zumin­d­est eines war klar: Ich fühlte mich, ehrlich gesagt, nur in alten, his­torischen Städten richtig wohl. Es gab keinen urba­nen Raum der Mod­erne, den ich ein­er gewach­se­nen alten Stadt vorge­zo­gen hätte.

Aber, um Gottes Willen, Hil­fe! Das durfte doch nicht wahr sein! Was war denn los mit mir?, dachte ich. War ich jet­zt Reak­tionär? Spießer? Monar­chist? Pup­pen­stuben­fetis­chist? Vielle­icht sog­ar Nazi?! Oder alles zusam­men? Ich dachte immer, ich sei ein aufgeschlossen­er, mod­ern­er Men­sch und Kün­stler! Ein Kind des 20. und 21. Jahrhun­derts. Und nun das! Meine Damen und Her­ren, mir war klar, ich musste eine Ther­a­pie machen! Ich wollte ja mod­ern sein, ver­dammt noch mal! Und ich will’s immer noch!

Also ging ich durch unsere Städte und schaute sie mir alle an, die liebevoll hingerotzten Kisten und Con­tain­er. Ich stand vor ihnen, und ich ging in sie hinein, in die Schuhkar­tons und Geld­kas­set­ten. Ich las die Gebrauch­san­weisun­gen ihrer Erbauer und ich dachte: Mit dieser Hil­fe wirst du die Schön­heit der Baut­en erken­nen! Ich las die Gesänge der Feuil­leton­is­ten, die die klar reduzierte, die zurückgenommene For­men­sprache bejubel­ten. Und ich dachte: Ja … gle­ich … Heure­ka! Gle­ich hab ich’s! Plöt­zlich bekam ich Heißhunger auf Schoko­lade. Was war’n jet­zt? Und dann begriff ich – Rit­ter Sport ist ja auch qua­dratisch, prak­tisch, gut. Und ich wusste: Ich werde den „Wür­fel­hus­ten“ lieben! Ich wan­derte weit­er durch unsere Städte und häm­merte mir ein: Du musst auch ver­suchen, den städte­baulichen Bruch zu lieben. Du musst akzep­tieren, dass unsere Städte zer­stört und hässlich wieder­aufge­baut wur­den! Wir alle haben den Krieg zu ver­ant­worten – auch du, Jörg Hart­mann! – und wir alle ver­büßen unsere Schuld städte­baulich bis zum Sank­t­nim­mer­le­in­stag. Wir sind es unser­er Schuld schuldig, dass wir unhar­monisch bauen. Dass wir das Ensem­ble ver­acht­en. Ich sagte mir: Glas, Beton und Stahl sind unverdächtig und frei von jed­er Schuld. Ich sagte mir: Wer damit baut, ist Demokrat. Basta!

Ich schwärmte von unseren mod­er­nen, flachen, immer gle­ichen Dachland­schaften. Von der liebevoll kom­ponierten Haustech­nik auf eben­em Kies. Ich begrüßte her­zlich alle Inve­storen, die bere­it waren, die alt­modis­che, unmen­schliche Parzel­len­struk­tur mit fortschrit­tlichen Ein­heits-Riesen­riegeln zu über­bauen. Und ich sah endlich den Vorteil, meinen Kaf­fee in kli­ma­tisierten Pri­va­träu­men, in schö­nen Shop­ping­cen­tern zu genießen.

Ich mied lei­den­schaftlich die öffentlichen Plätze und war so froh, Wind und Wet­ter nicht aus­ge­set­zt zu sein. Und ich war glück­lich, denn ganz Deutsch­land lag vor mein­er Haustür! Ver­spürte ich die Sehn­sucht, mal Han­nover, Karl­sruhe, Köln, Mannheim, Stuttgart oder Kas­sel zu besuchen, so brauchte ich ein­fach nur nach Dort­mund oder Hagen fahren, denn dort sah’s genau­so aus! Und ich begriff: Wir leben in einem freien Land und jed­er darf bauen wie er will. Seit dem Drit­ten Reich wis­sen wir: Regeln sind scheiße! Warum also Regeln im Städte­bau? Selb­stver­wirk­lichung heißt die Devise! Gebaute Ich-AGs!! In ein­er Ell­bo­gen-Gesellschaft gibts keine Ensem­bles! Pah!! Meine Fre­unde und ich skandierten: Ver­ant­wor­tung ist scheiße! Freies Bauen für freie Bürger!

Und ich ging weit­er durch unsere Städte, meine Damen und Her­ren, und ich lernte, die Wärmedäm­mung zu lieben! Ich lehnte mein Fahrrad an die pap­pi­gen Fas­saden und war über­wältigt von den tiefen Wun­den, die mein Draht­e­sel riss. Ich blick­te auf die Dämm­wolle, und die Seele des Haus­es blick­te auf mich. Ich sagte mir: Es ist ökol­o­gisch, wenn wir die Häuser mit Chemie ver­pack­en. Ich begriff: Es fördert die Gesund­heit, wenn wir dreißig Stun­den am Tag lüften müssen, um nicht zu ver­schim­meln. Und ich besang den ästhetis­chen Fortschritt, als hässlich­es Fach­w­erk, Stuck und Orna­mente endlich hin­ter Sty­ro­por ver­schwan­den! Ich ver­traute der Poli­tik, die weiß, was sie tut, wenn nach Kriegsz­er­störung und Abris­s­wut nun der dritte Segen für die Baukun­st auf uns zukommt.

Meine sehr verehrten Damen und Her­ren: Ein dreifach­es Hoch auf die deutsche Wärmedäm­mung! Ein Hoch auf die Wolle an der Wand!! Nein!!! Stopp!!! Aus und vor­bei. Es hat nicht funk­tion­iert. Tut mir leid, meine Damen und Her­ren, aber die Ther­a­pie hat nichts gebracht. Im Gegen­teil, ich mis­straute der Mod­erne nur noch mehr. Ich sah natür­lich einzelne wun­der­bare Baut­en, keine Frage, aber ich traute der Mod­erne keine schö­nen Stadträume zu. Als es in Dres­den darum ging, das Umfeld der Frauenkirche, den Neu­markt, zu bebauen, da kon­nte ich mir, ehrlich gesagt, nichts anderes vorstellen als die his­torische Bebau­ung. Ich wollte dort ein­fach keine aus­tauschbaren, anony­men Nul­lacht­fün­fzehn-Kisten. Und auch wenn nicht jede Rekon­struk­tion und nicht jed­er Neubau dort heute überzeu­gen, auch wenn Klein­teiligkeit meist nur vor­getäuscht wird: Ich glaube, die Entschei­dung, das Rad am Dres­d­ner Neu­markt nicht kom­plett neu zu erfind­en, war das Beste, was man diesem Ort antun konnte.

Ein Satz noch zu Rekon­struk­tio­nen: Ich halte sie da, wo sie aus­re­ichend doku­men­tiert sind, wo der städte­bauliche und baukün­st­lerische Ver­lust so groß ist, und die Iden­tität stif­tende, die Stadt heilende Kraft so stark, für abso­lut legit­im und richtig. Sog­ar für notwendig. Voraus­set­zung ist natür­lich, sie sind handw­erk­lich gut gemacht. Doch – keine Bange! – es soll hier nicht um Rekon­struk­tio­nen gehen.
Aber: Die Sehn­sucht der Bürg­er nach einem ver­loren gegan­genen Stadt­bild drückt ja etwas aus – näm­lich die Sehn­sucht nach einem schöneren Stadt­bild! Und das trauen die meis­ten Men­schen der Mod­erne ein­fach nicht zu – ver­ständlicher­weise, deshalb der Blick zurück. Aber sie hät­ten sich­er nichts dage­gen, wenn die Mod­erne dazu in der Lage wäre. Ich will ja auch die Mod­erne! Ich wün­sche mir nichts mehr, als dass unsere Zeit es endlich schafft, schöne Stadträume zu erschaffen!

Ich glaube, das, was in Dres­den begonnen wurde, was in Frank­furt, in Pots­dam und auch in anderen Städten jet­zt eine Fort­set­zung und Weit­er­en­twick­lung erfährt, wird rück­blick­end als etwas ganz entschei­dend Neues in der Entwick­lung unser­er Innen­städte ange­se­hen wer­den. Und nicht, weil hier teil­weise rekon­stru­iert wird – nein! – etwas anderes ist viel wichtiger: Durch die Suche nach einem mod­er­nen ort­styp­is­chen Stadthaus, das qual­i­ta­tiv und ästhetisch mit den his­torischen Häusern mithal­ten kann, wer­den wir endlich wegkom­men vom gruseli­gen Ein­heits­brei unser­er Städte und hin zu ein­er neuen Mod­erne, die begreift, dass Anpas­sung eine Qual­ität ist, und nicht der Bruch oder Kon­trast. Hin zu zeit­genös­sis­chen Häusern, die die lokalen Bau­tra­di­tio­nen fort­führen, mod­ern inter­pretieren, die selb­st­be­wusst neu sind, aber sich nicht in den Vorder­grund spie­len. Häuser, die in der Lage sind, mit der His­to­rie, mit den Nach­barn ein Ensem­ble zu bilden. Hier wer­den noch diverse Fehler gemacht wer­den. Aber das ist nicht schlimm. Fehler müssen gemacht wer­den. Am Ende aber kön­nten Mod­erne und His­to­rie endlich miteinan­der ver­söh­nt sein, daran glaube ich. Sie glauben sich­er auch daran, son­st wären Sie ja nicht hier. Und in diesem Zusam­men­hang gilt mein ganz beson­der­er Dank Her­rn Prof. Mäck­ler und Her­rn Prof. Sonne und dem ganzen Insti­tut für Stadt­baukun­st in Dort­mund! Als ich Ihre Grund­sätze zur Stadt­baukun­st das erste Mal las, dachte ich: Wow! Mein Gott, die drück­en doch (in etwas pro­fes­sionelleren Worten) genau das aus, was ich mir schon so lange wün­sche! Bevor ich Ihnen meine Ver­sion ein­er schö­nen Mod­erne etwas genauer skizziere, möchte ich noch ein paar Punk­te benen­nen, die wir klären müssen. Prob­leme, die wir unbe­d­ingt lösen müssen! Denn tun wir das nicht, wer­den wir nie zum Erfolg kom­men. Selb­st dann nicht, wenn wir uns hier alle darüber einig wer­den soll­ten, was das mod­erne, schöne, städtis­che Haus leis­ten muss.

Erstens: Die Ideologie

Bevor wir nicht endlich alle Ide­olo­gien über Bord wer­fen und wirk­lich nur über gute Architek­tur und guten Städte­bau reden – und über son­st nichts! – wer­den wir nichts erre­ichen. Gar nichts! Wir sind in diesem Land ide­ol­o­gisch so verkrampft. Wir debat­tieren nicht sach­lich miteinan­der, wir schießen mit Weltan­schau­un­gen aufeinan­der! Und warum? Tja, da ist sie wieder, die kom­plizierte böse deutsche Geschichte! Aber wie absurd ist das bei diesem The­ma!? Ich meine, wir reden über Städte und Baut­en und lan­den bei Auschwitz?!

Meine Damen und Her­ren, in ein Gebäude zieht nicht automa­tisch gelebte Demokratie, nur weil es eine Glas­fas­sade hat. Und kein Bauw­erk wird von Neon­azis bezo­gen, nur weil es ein Sat­tel­dach hat! Wäre das so, müsste Peking die Haupt­stadt ein­er lupen­reinen Demokratie sein. Und in Paris wür­den die schlimm­sten Tyran­nen herrschen. Ein kleines Beispiel dazu: Neulich gab es in Pots­dam (wo ich wohne) einen Wet­tbe­werb zum soge­nan­nten Lan­gen Stall. Es ging darum, den im Krieg zer­störten Bau zumin­d­est in sein­er Grund­form, sein­er stadt­bild­prä­gen­den Kubatur wieder­herzustellen. Übrig geblieben vom Lan­gen Stall ist immer­hin die prachtvolle pal­la­dioar­tige Fas­sade an der südlichen Stirn­seite. Der Reiz des Baus lag im Kon­trast zwis­chen dieser Palast­wand und dem ländlichen, sche­une­nar­ti­gen, lan­gen Baukör­p­er dahin­ter. Und der wurde bekrönt von einem extrem steilen, sehr hohen Sat­tel­dach. Neun­zehn Architek­ten nah­men am Wet­tbe­werb teil, aber nur ein­er ent­warf auch den Neubau mit einem Sat­tel­dach. Beim Betra­cht­en dieses Sat­tel­dachs sagte schließlich ein Kol­lege, der seinen Entwurf wie alle anderen auch mit einem Flach­dach gekrönt hat­te: „Respekt, das hätte ich mich nie getraut!“

Liebe Architek­ten, trauen Sie sich! Befreien Sie sich! Und bauen Sie ruhig mal ein Sat­tel­dach, wenns ange­bracht ist! Sie sind deswe­gen wed­er spießig, noch von gestern oder „’ne rechte Socke“! Und es glaubt deswe­gen auch kein­er, dass Sie sich Garten­zw­erge vors Haus stellen. Bauen wir so, wie es die Umge­bung erfordert und schmeißen wir die Ide­olo­gien endlich auf den Müllhaufen!

Zweit­ens: Der Bruch

Die klas­sis­che Mod­erne wollte den radikalen Bruch, und das ist aus der Zeit her­aus, in der sie ent­standen ist, nachzu­vol­lziehen und zu ver­ste­hen. Sie wollte den Bruch, weil sie eine bessere Welt erschaf­fen wollte. Aber macht der Bruch heute noch Sinn? Erschafft er noch eine bessere Welt? Die Mod­erne hat ihre Ziele aus den Augen ver­loren, der Bruch ist zum krampfhaften Zwang gewor­den, zur Attitüde verkom­men, zur eitlen Pose. Die Mod­erne hat sich vom Ren­dit­e­denken vor den Kar­ren span­nen lassen und entwirft effek­thascherische Solitäre für Konz­erne – gebaute Fir­men­l­o­gos. Bil­lige Cine­plex- und Gewer­bege­bi­et­sar­chitek­tur im Herzen der Stadt. Sie baut keine Umge­bung für den Men­schen. Keine Baukör­p­er, die man gerne anfasst, die Optik und Hap­tik bieten. Mit ihren kün­stlichen Baustof­fen baut sie schon rein physisch eine Dis­tanz – einen Bruch – zum Men­schen auf. Der Men­sch als ein natür­lich­es Wesen hat kein Ver­lan­gen danach, diese unnatür­lichen Mate­ri­alien anz­u­fassen. Der Men­sch will die ihn umgeben­den Häuser nicht berühren, also berühren die Häuser auch den Men­schen nicht!

Ist der Men­sch nicht das Maß aller Dinge, soll die Mod­erne doch dahin, wo der Pfef­fer wächst! Und: Sie sollte pfleglich mit den Ressourcen umge­hen! Von daher sollte nur dort neu gebaut wer­den, wo ein Neubau wirk­lich bess­er ist als der Vorgänger­bau. Und in einem Land wie Deutsch­land, das demografisch bekan­ntlich schrumpft, ist es unver­ant­wortlich, wenn wir es weit­er zulassen, ganze Land­striche mit den immer gle­ichen und geschmack­losen Rei­hen­haussied­lun­gen und Gewer­be­baut­en zu verun­stal­ten. Mit welchem Recht schimpfen wir eigentlich über die Abholzung des Regen­waldes, wenn wir in einem der reich­sten Län­der der Erde weit­er­hin wertvollen Boden ver­siegeln? Oder sind Felder und Ack­er­flächen nicht wertvoll genug? Ich muss es so sagen: Dieser Drang auf die grüne Wiese, diese fortwährende Ver­mül­lung unseres Lan­des muss endlich been­det werden!

Gestal­ten wir unsere Städte so lebenswert, dass wir in ihnen leben und arbeit­en wollen. Kurze Wege sind ökol­o­gisch und deshalb mod­ern. Kreieren wir eine neue Mod­erne, die den Namen wieder ver­di­ent, weil sie wirk­lich eine bessere Welt erschafft! Zurück zum mod­er­nen „Bruch-Zwang“: Es heißt, auch die alten Städte haben den Bruch zele­bri­ert und wur­den dadurch erst attrak­tiv: groß neben klein, Gotik neben Barock und Jugend­stil, usw. Ja, klar, aber alle Epochen vor der Mod­erne basierten immer­hin noch auf dem gle­ichen For­menkanon, alle Fas­saden waren klas­sisch aufge­baut, alles fußte auf dem Geist und Reper­toire der abendländis­chen Architek­tur; das Mate­r­i­al war gle­ich (oder ähn­lich) – in der Regel das des Ortes –, auf jeden Fall natür­lich­es Mate­r­i­al. Aber die Mod­erne brach mit allem, nichts passte mehr zusam­men. Alles Gewe­sene wurde plöt­zlich negiert. Man kann aber nicht alles negieren, was war – nir­gend­wo! Man knüpft immer auch an Ver­gan­ge­nes an!

Drit­tens: Die Kosten

Wer­den wir an dem Ver­such, schöne Städte zu bauen, schon allein deshalb scheit­ern, weil wir sparen müssen? Ist Schön­heit eine Frage des Geldes? Ich sage: Nein! Das Wichtig­ste sind Pro­por­tio­nen und der richtige Maßstab – und die kosten gar nichts. Für die braucht man nur ein Gespür. Und wenn mans nicht hat, muss mans halt ler­nen! Kann man das denn ler­nen? Wird das über­haupt gelehrt? Wie sieht’s aus mit der Aus­bil­dung unser­er Architek­ten? Weiß der Nach­wuchs genug über Maßstäbe und Har­monien? Über Stadtensem­bles? Über Baugeschichte? Über die europäis­che Stadt? Über die Abfolge von Plätzen und Straßen? Über Kom­po­si­tion? Über die Möglichkeit, Vielfalt in der Ein­heit zu gestal­ten? Über die Kun­st der selb­st­be­wussten Anpas­sung? Oder wer­den hier lauter miteinan­der konkur­ri­erende Alphatierchen herange­zo­gen, deren Ziel es ist, mit möglichst auf­se­hen­erre­gen­den Baut­en in die Architek­turzeitschriften zu kom­men? Es allen zu zeigen? Auf dem Weg zum Starar­chitek­ten? Noch ein Satz zum Architek­ten­nach­wuchs: Da gibt es bes­timmt etliche ide­olo­giefreie Tal­ente. Also, lasst die Jun­gen und Unbekan­nten noch mehr ran! Es kann doch nicht sein, dass man nur an einem Wet­tbe­werb teil­nehmen darf, wenn man eine entsprechende Bauauf­gabe schon mehrmals gestemmt hat. Das wäre ja so, als dürfte ich den Ham­let nur spie­len, wenn ich ihn vorher schon an vier anderen The­atern gespielt hätte.

Absurde Vorstel­lung!

Zurück zu den Kosten: Wenn mas­siv gebaut wird mit gutem Mate­r­i­al, kostet’s natür­lich erst­mal mehr. Aber doch nicht auf Dauer! Sie kön­nen sich bei H&M für ’n Appel und ’n Ei einen Pullover kaufen und ihn nach einem hal­ben Jahr weg­w­er­fen, weil er dann schon oll, schäbig und aus­geleiert ist. Oder Sie investieren etwas mehr und kaufen sich gle­ich einen vernün­fti­gen Pullover. Von dem haben Sie aber auch lange was. Was müssen wir also tun? Wir müssen für Bauher­ren sor­gen, die sich einen vernün­fti­gen Pullover kaufen, weil sie ihn sel­ber und lange tra­gen wollen. Ren­ditegeile Inve­storen, die bil­lige Baut­en hin­rotzen, ein­fach nur um sie meist­bi­etend ganz schnell wieder loszuw­er­den, soll­ten von den Städten auf den Mond geschossen wer­den! Und damit bin ich bei Punkt vier: Der Verantwortung.

Ver­ant­wor­tung für unsere Städte!

Am The­ater nen­nt man Schaus­piel­er, die eine Menge Mätzchen auf der Bühne ver­anstal­ten und um Aufmerk­samkeit buhlen, Ram­p­en­säue. Die gibts auch im Städte­bau. Aber hier wie da machen Ram­p­en­säue noch keine gute Qual­ität aus. Um gut zu sein, muss man zusam­men­spie­len. Ein ENSEMBLE sein!!

Umso erstaunlich­er ist, dass heutzu­tage anscheinend jed­er bauen darf, wie er will. Das ist schon auf der grünen Wiese schw­er zu ertra­gen, aber im Herzen der europäis­chen Stadt ist es ver­ant­wor­tungs­los und müsste ver­boten sein. Jed­er, der baut, muss einen Beitrag leis­ten für die Stadt!

Die Fas­sade ist das Gesicht der Stadt, das Gesicht des öffentlichen Raums. Aber weil heute alles erlaubt ist, was gefällt, weil Indi­vid­u­al­is­mus und Selb­stver­wirk­lichung unsere Reli­gion sind, darf mans auch beim Bauen ganz beson­ders bunt treiben. Freies Bauen für freie Bürg­er! Das ist ja das Cre­do der Mod­erne: sich abzu­gren­zen, den Kon­trast zu bauen. Sich selb­st­be­wusst einzufü­gen, wird ja nicht gelehrt, wäre aber die eigentliche Kun­st – und vor allem die men­schliche! Die Mod­erne kön­nte hier Vor­bild für die Gesellschaft sein!

Tea­mar­beit muss die Devise sein! Nicht die Ego­manie! Aber auch viele Kom­mu­nalpoli­tik­er, Stadtverord­nete und Mitar­beit­er der Stadtver­wal­tun­gen glauben ja, dass sie Gutes tun, wenn sie möglichst modis­chen Schnickschnack in ihre Städte knallen. Strich­code­fas­saden beispiel­sweise sind grad sehr ange­sagt … Oder aus der Rei­he tanzende Fen­ster. Alles Schnickschnack, allein mit dem Ziel der Abgren­zung. Schnickschnack, der schon kurz nach der Ein­wei­hung nur noch pein­lich und alt­back­en wirkt. Alles Unver­schämtheit­en, für die ich die Leute, die das ver­ant­worten, am lieb­sten verk­nack­en würde. (Darf ich ja jet­zt, bin ja Kom­mis­sar von Beruf!) Und auch die Feuil­letons jubeln bisweilen, schließlich muss ja auch das 21. Jahrhun­dert zum Zuge kom­men. Man hat Dubai gese­hen, Peking und Lon­don, und denkt: „Wow, die sind so cool in London!

Toll, was die für Hochhaus-Gurken und ‑Scher­ben und Was-weiß-ich-nicht-Alles in ihre alte City knallen!“ Aber das ist alles Quatsch! Alles Mumpitz, weils kein guter Städte­bau ist, son­dern eitler und men­schen­feindlich­er Tur­bokap­i­tal­is­mus. Das ist falsch ver­standenes Fortschritts­denken. Fortschrit­tlich ist es, men­schlich zu sein! Und wenn manche sagen: Vie­len Leuten gefällt das! Das sind wenig­stens keine Nullachtfünfzehnhäuser!

Dann sage ich: Es schauen auch sieben Mil­lio­nen das Dschun­gel­camp, aber das ist deswe­gen noch lange kein gutes Fernse­hen! Die Men­schen ren­nen auch in Einkauf­s­cen­ter wie ver­rückt, trotz­dem ist es ver­ant­wor­tungs­los, wenn der immer­gle­iche Investor jede deutsche Stadt mit seinem Shop­ping-Schrott beglückt! Und sich die Stadt auch noch beglück­en lässt! Es ist eben nicht alles gut und erlaubt, was gefällt. Wenn ich auf den Schul­hof gehen würde, um Dro­gen zu ver­schenken, hätte ich auch großen Erfolg. Ich mach’s aber nicht, weil ich Ver­ant­wor­tung habe! Im Städte­bau ist es die Ver­ant­wor­tung der Architek­ten – und der Bauherren!
Und vor allem die der Poli­tik und der Stadtver­wal­tun­gen! Jede Stadt muss selb­st klar definieren, was in ihr möglich ist und was nicht. Und wenn die Stadt es nicht weiß, (denn es gibt, man mag’s kaum glauben, eine Menge Entschei­dungsträger, die keine Ahnung haben und kein Gespür für ihre Stadt), dann müssen halt Leute her, die Ahnung haben – auf jeden Fall eine über­ge­ord­nete Gestal­tungs- und Entschei­dungskom­pe­tenz! Und die darf nicht durch die kom­mu­nalen Parteienkämpfe zer­rieben wer­den. Wir brauchen eine langfristige, umfassende Stadt­pla­nung! Wir kön­nen nicht mit jed­er Stad­trat­sitzung wieder alles über den Haufen schmeißen. Und ein guter Unternehmer- und Inve­storengeist, der drückt sich nicht so aus: „Ihr kön­nt froh sein, dass ich überhaupt in eur­er Stadt baue, also darf ich machen was ich will!“ Nein, ein guter Unternehmer darf in der Stadt bauen, er prof­i­tiert von der Stadt und tut deshalb gerne etwas Gutes für die Stadt. Und dann wird natür­lich gemauschelt und gek­lün­gelt in Deutsch­land, was das Zeug hält. Es gibt Seilschaften, Kor­rup­tion, Män­ner­fre­und­schaften, richtige Mus­ketiere: „Ein­er für alle, alle für einen!“ Wenn Men­schen aus der Poli­tik, aus den Stadtver­wal­tun­gen, Unternehmer und Stadtverord­nete miteinan­der essen gehen und bei Speis und Trank sich ewige Treue schwören, dann ist das sel­ten gut.

Also: Ent­filzen, ent­filzen, entfilzen!

Und das muss geset­zlich geregelt wer­den, von ganz oben, anders geht’s nicht. Das ist mein Gruß nach Berlin und an den Bun­destag! Wenn ich schon mal dabei bin, schicke ich gle­ich noch einen Gruß nach Berlin, denn das fol­gende Prob­lem kann auch nur dort gelöst wer­den! Der deutsche Wärmedämmwahn Dass wir alle ökol­o­gisch sein wollen, set­ze ich mal voraus. Dass wir nicht unsere Energien ver­pul­vern dür­fen, ist auch klar. Aber was passiert mal wieder in Deutsch­land? Blind­er Aktion­is­mus, der alle Haus­be­sitzer zwingt, ihre Häuser mit Chemiepro­duk­ten zu ver­pack­en. Unglaublich ökol­o­gisch in der Her­stel­lung und Entsorgung! Toll! Dass zum Beispiel Grün­derzei­thäuser so mas­siv gebaut sind, dass sie diesen Mumpitz gar nicht nötig haben, inter­essiert keinen, denn es kurbelt ja die Bauwirtschaft an und lässt einige Wenige gut ver­di­enen. Vor allem BASF! Dass kein Men­sch so viel lüften kann, wie die Dämm­pappe es erfordert, ist auch nicht wichtig. Dass der Schim­mel sich munter aus­bre­it­et, dass ein Haus atmen muss, dass es rein ästhetisch und baukün­st­lerisch eine Katas­tro­phe ist, dass wir alle bald tod­krank sein wer­den … Egal!

Liebe Entschei­dungsträger in Berlin und ander­swo: Betra­cht­en Sie das The­ma dif­feren­ziert und schießen Sie nicht übers Ziel hin­aus! Viele Häuser brauchen keine Dämm­wolle, für Neubaut­en gibt’s auch Dämm­steine und, und, und … Es gibt jede Menge Lösun­gen – erzwin­gen Sie keinen Unsinn, denn nur mas­sive Häuser altern mit Würde und geben den Städten die Erschei­n­ung, die sie brauchen! Also Schluss mit dem Dämmwahn! Sty­ro­porhäuser sind der Tod der Baukun­st, der Tod unseres architek­tonis­chen Erbes, der Tod unser­er Städte!

Let­zter Punkt: Die Bauregeln

Zu allem Über­fluss denken sich dann noch irgendwelche Men­schen an irgendwelchen Schreibtis­chen irgendwelche Regeln aus. Sie tun das, weil sie im Aus­denken von Regeln ihre Daseins­berech­ti­gung sehen. Lei­der sind diese Regeln oft sehr schwachsin­nig, und dum­mer­weise erstick­en sie jedes urbane Leben schon im Keim. Wenn zum Beispiel irgend­wo Gas­tronomie entste­hen soll, um ein biss­chen Schwung in die urbane Bude zu bekom­men, aus diesem Grund aber Woh­nun­gen aus­geschlossen sind, weil ja die Bewohn­er ein Recht auf Ruhe haben und kla­gen kön­nten, dann kann doch irgend­was nicht stim­men! Man mag’s kaum glauben, aber es soll auch Men­schen geben, die in die Stadt ziehen, ger­ade weil es da nicht ganz leise ist. Das ist näm­lich urban. Das ist lebendig. Wer’s still mag, kann ja aufs Land ziehen. Oder lei­der immer noch auf der grü­nen Wiese den Boden versiegeln.

Wie soll also das schöne, nor­male und mod­erne Stadthaus von mor­gen aussehen?

Will man mod­ern sein im inner­städtis­chen Kon­text, gibts zurzeit drei Ten­den­zen. Entwed­er man reduziert die For­men­sprache so, dass am Ende nur beschä­mende Ein­fall­slosigkeit her­auskommt: Man will sich zurück­hal­ten, dem Min­i­mal­is­mus frö­nen, lan­det aber nur bei der öden Kiste, dem tris­ten Con­tain­er. Oder man entschei­det sich eben für das mark­tschreierische Knall­bon­bon, für die Ich-AG, für das Scheißen auf die Nach­barschaft. Bei­des eine Art der typ­isch mod­er­nen Abgren­zung, die wir über­winden müssen. Es gibt noch eine dritte aktuelle Ten­denz: eine Art neuen Klas­sizis­mus. Meist in Form von Wohn­baut­en für Besserver­di­enende. Die bieten in der Regel lebendi­ge Fas­saden mit Struk­tur und Relief. Das find ich gut und das tut dem Auge gut. Aber dieser neue Klas­sizis­mus sieht halt über­all auch irgend­wie gle­ich aus, und er wirkt auch nicht wirk­lich – wie soll ich sagen? – inno­v­a­tiv, originell …

Gibt es einen vierten Weg?

Ja! Grund­vo­raus­set­zung für das neue städtis­che Haus muss es sein, den Geist des Ortes zu erken­nen und zu begreifen. Wir brauchen eine genaue Ken­nt­nis der lokalen Baugeschichte und der Vorgänger­baut­en. Wir müssen die lokale Bau­tra­di­tion mod­ern inter­pretieren und sie weit­er­führen, um eine Aus­tauschbarkeit zu ver­mei­den. Um Iden­tität zu stiften. Wenn ich ein Foto der betr­e­f­fend­en Stadthäuser sehe, möchte ich gle­ich erken­nen kön­nen, um welche Stadt es sich han­delt. Welch­es Mate­r­i­al ist typ­isch für den Ort? Welch­er For­menkanon? Und wie kann man das zeit­genös­sisch inter­pretieren? Grund­lage muss das Gedächt­nis der Stadt sein. Ein stark­er Stadt­grun­driss verträgt auch einzelne schlechte Baut­en. Ein schlechter Stadt­grun­driss nicht.

Der Men­sch muss das Maß aller Dinge sein!

Deshalb müssen wir klein­teilig bauen, denn Klein­teiligkeit entspricht dem Men­schen (der sich zu Fuß durch die Stadt bewegt). Und diese Klein­teiligkeit sollte, wo immer möglich, echt sein und nicht nur vor­getäuscht. Stadthäuser in dieser men­schlichen Größe (das ist der Vorteil) kön­nen auch von Bürg­ern der Stadt errichtet wer­den. Soll­ten sog­ar! Von Bürg­ern, die einen Bezug zu ihrer Stadt haben, im besten Falle sog­ar in diesen Häusern leben und/oder arbeit­en. Die Stadt darf nicht von Inve­storen gebaut wer­den, denen die Stadt scheiße­gal ist! Und wir müssen uns bei der Mate­ri­al­wahl beschränken; es bringt keine Punk­te, wenn wir Ziegel, Putz, Beton, Natursteine, Glas, Met­all, usw. bunt nebeneinan­derk­nallen. Das bringt keine Abwech­slung, das bringt Unruhe! Und vor allem wieder nur Abgren­zung! (Meine wichtig­sten Worte, deshalb kann ich sie gar nicht oft genug wieder­holen: Ensem­ble bauen! Abgren­zung ver­hin­dern!) Schauen wir, welch­es Mate­r­i­al für den Ort typ­isch ist und ver­suchen wir, uns darauf zu beschränken. Die schön­sten Städte auf diesem Plan­eten sind alle aus weni­gen Mate­ri­alien erbaut. Oft dominiert nur ein einziges.

Dann brauchen wir vernün­ftige Däch­er! Keine abgeschnit­ten Häuser mit Haustech­nik und Mobil­funkan­ten­nen oben drauf. Eine abwech­slungsre­iche, schöne Dachland­schaft gehört zu ein­er schö­nen Stadt dazu. Däch­er sind die Köpfe unser­er Häuser, aber was tun wir? Wir köpfen unsere Häuser! Es wird auch weit­er­hin viel reg­nen in Deutsch­land, trotz des Kli­mawan­dels, meine Damen und Her­ren, und das Wass­er wird auch in Zukun­ft, der Schw­erkraft fol­gend, nach unten fließen wollen. Wir leben nicht in der Sahara. Warum also ist das Flach­dach zu einem mod­er­nen Dog­ma geworden?

Der rechte Winkel ist genau­so ein Dog­ma gewor­den. Warum? Im Sozial­is­mus nan­nte sich alles Kun­st, was eine rote Fahne hat­te. In der Mod­erne ist alles Kun­st, was einen recht­en Winkel hat. Darf in der Mod­erne kein Dreieck mehr vorkom­men, kein Kreis? Hat man Angst, man lan­det dann gle­ich bei der Post­mod­erne, bei ein­er his­torisieren­den Architektur?

Wir kön­nen die Dinge in der Natur schon von Weit­em durch ihre typ­is­chen Grund­for­men erken­nen und unter­schei­den. Aber heute erken­nt ein Schulkind sein Zuhause nur daran, weil die Müll­tonne davor rot ange­malt ist. Die Möglichkeit­en des recht­en Winkels sind naturgemäß begren­zt. Fehlen andere For­men, fehlt auch dem Men­schen etwas. Der Men­sch ist nun mal ein sinnlich­es Wesen. Und die gebaute Umwelt muss ihm etwas bieten, muss seine Sinne befriedi­gen. Wie sollen die glat­ten, kühlen und monot­o­nen Fas­saden der Mod­erne dies leis­ten? Warum gibt es keine Details mehr? Deko­ra­tio­nen? Kann die Mod­erne das nicht? Oder darf sie’s nicht? Warum sollte man nicht in der Lage sein, zeit­gemäße Orna­mente zu find­en? Wir brauchen sinnliche Details, an denen das Auge Halt find­et. Große glat­te Lochfas­saden sind leb­los, tot. Egal wie die Sonne ste­ht, es gibt kein sich verän­dern­des Licht- und Schat­ten­spiel. Deshalb brauchen wir Struk­tur, Relief, Pro­fil, Tek­tonik, Details – lebendi­ge Fas­saden, Straßen­räume mit Rhythmus.

Urbane Räume muss man kom­ponieren. Es muss gewährleis­tet sein, dass eine über­ge­ord­nete Stelle das Ganze im Blick hat und dafür sorgt, dass ein Ensem­ble entste­ht! Ich wieder­hole das Wort schon wieder: ENSEMBLE! Wir müssen Ensem­bles erschaf­fen! Die Vielfalt in der Ein­heit! Ist es denn wirk­lich so schw­er, die lokale Bau­tra­di­tion ins 21. Jahrhun­dert weit­erzuführen? Unver­wech­sel­bare, ort­styp­is­che Häuser zu bauen, die mit ihren Nach­barn eine schöne Gemein­schaft bilden, die all das bieten, was wir an den alten Häusern so lieben, und die trotz­dem ganz und gar Kinder unser­er Zeit sind, selb­st­be­wusst und mod­ern? Ich frage Sie – kann man das nicht schaffen?

Wir müssen das hinkriegen! In Abgren­zung zum Inter­na­tion­al Style, der unsere Städte in aller Welt gle­ich ausse­hen lässt und nur durch Abgren­zung funk­tion­iert, hätte ich für diese lokale ensem­ble­fähige Mod­erne einen Namensvorschlag: Local Style! Davon träume ich: von einem Local Style! Aber eines ste­ht fest: Wir wer­den nicht viel erre­ichen, wenn dieses The­ma die schö­nen Rhein­ter­rassen hier nicht ver­lässt! Wenn wir nicht in der bre­it­en Öffentlichkeit darüber disku­tieren! Wir ver­brin­gen unser ganzes Leben in gebauter Umge­bung, das Erschei­n­ungs­bild unser­er Städte prägt uns alle, es hat direk­ten Ein­fluss auf unser aller Kör­p­er und See­len, auf unsere Gesund­heit, auf unser Miteinan­der. Das The­ma hat eine solche gesellschaftliche Rel­e­vanz, es müssen alle darüber reden! Auch der Bun­destag! Wir müssen endlich auf allen Ebe­nen gegen die fortwährende Ver­hässlichung unser­er Städte kämpfen!

In diesem Sinne wün­sche ich uns allen zwei anre­gende, Impuls gebende Tage! Eine freudi­ge, kreative und vor allem ide­olo­giefreie Debat­te! Und am Ende des Weges wun­der­schöne Städte in unserem Land!

Vie­len Dank!