Veranstaltungen
Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt No 4
Vortrag von Jörg Hartmann
Schauspieler
Guten Morgen, meine Damen und Herren, liebe Architektinnen, liebe Architekten, liebe Gestalterinnen und Gestalter unserer Städte!
Bevor ich mich Ihnen richtig vorstelle, eine Frage: Kennen Sie Bodo Wartke? Ein wunderbarer Kabarettist und Sänger, der ein Lied über „Architektur in Deutschland“ geschrieben hat. Zur allgemeinen Auflockerung singe ich Ihnen das einfach mal vor …
Ich finde ja, Deutschland entwickelt sich stetig
zu einem Vorbild an Schönheit und Ästhetik.
Man schaue heute einmal nur
auf unsere Nachkriegsarchitektur.
Die ist so schön praktisch und so pragmatisch,
jeder Bau groß und grau und quadratisch.
Der Sozialismus mag gescheitert sein,
in die Architektur fließt er heiter weiter ein.
Wir nehmen als Baumaterial
heute nicht mehr Asbest, sondern Glas, Beton und Stahl.
Material, das bestens Wetter, Wind und Regen trotzt
und leicht zu reinigen ist, wenn mal einer ’gegen kotzt.
Wir brauchen keine opulenten
Häuser mehr wie früher mit Stuck und Ornamenten.
Nein, ein Gebäude ist heute ideal,
wenn es schön billig ist, beliebig und banal.
Wozu raffinierte Gemäuer?
Wer soll die bezahlen? Die sind doch viel zu teuer.
Und selbst wenn mal ein Gebäude richtig Kohle kostet, dann
sieht man es ihm überhaupt nicht an.
Denn unser Baustil ist so herzerfrischend sachlich, so schlicht und völlig frei
von jeglichem altmodischen Schwachsinn wie Liebe zum Detail.
Im Zweifelsfalle bauen wir statt ’nem farbenfrohen Haus
lieber noch ’nen Plattenbau im satten Grau – wat’n Augenschmaus!
Aus diesem Grunde sieht es heut in Deutschland so schön karg aus.
Alles voll mit Häusern, die aussehen wie ein Parkhaus
oder wie ein Baumarkt. Daher auch der Name „Bauhaus“.
Mit einem Unterschied: Ein Baumarkt sieht nicht ganz so grau aus.
Aussehen ist ja schließlich auch nicht das, worum es geht.
Es geht in Deutschland lediglich um Funktionalität.
Wenn zum Beispiel einer, der sich umzubringen droht,
von so ’nem Hochhaus runterspringt, ist er auch wirklich tot.
Und weil wir uns an unseren geilen Klötzen so ergötzen,
werden wir nicht müde, überall neue hinzusetzen.
Dabei achten wir natürlich darauf, dass
davon möglichst keiner in die Umgebung passt,
wie etwa unsere Shoppingcenter. Sind die nicht schön?
Und wie praktisch, dass sie faktisch alle gleich ausseh’n.
So werden wir da drin viel schneller fündig, wenn
wir mal in ein Spezialgeschäft woll’n – wie H&M.
Oder Bürogebäude. Mit großer Freude
bauen wir dauernd neue klobige Bürogebäude.
Es gibt ja auch im Grunde nichts, was
wir in Deutschland dringender benötigen als das.
Nehmt euch ein Beispiel an unseren Architekten!
Vor ihren keck ausgeheckten Objekten
werden wir mit offenem Mund auch noch in hundert Jahren steh’n
und verwundert sagen: „Oh mein Gott! Wie schön! Wunderschön!“
(Schön, dass Sie lachen können. Wenn das jetzt’n Rohrkrepierer geworden wäre …)
Mein Name ist Jörg Hartmann, ich bin weder Architekt noch Städteplaner (und auch kein Sänger). Im Programm steht, ich bin Tatort-Kommissar. Na ja … Was unser Thema betrifft, bin ich auf jeden Fall ein ganz normaler Bürger. Ein Laie. Aber Architektur und Städtebau sind eine Leidenschaft von mir. Von daher freut und ehrt es mich wirklich sehr, dass ich hier und heute ein paar Sätze dazu sagen darf. Herzlichen Dank dafür!
Wissen Sie, gute Architektur und guter Städtebau können mich richtig glücklich machen. Ich brauche schöne Städte, ich sauge sie auf wie schöne, unberührte Natur oder ein gutes Essen. Sie geben mir Kraft. Hässliche Städte machen mich traurig, wütend und aggressiv. Über schlechte Architektur und schlechten Städtebau kann ich mich so unglaublich aufregen, eigentlich viel mehr als über schlechte
Schauspielerei.
Und das liegt natürlich daran: Wenn ich einen schlechten Theaterabend sehe oder einen grauenvollen Film, kann ich einfach abhauen. Ich muss mir den Schrott ja nicht weiter angucken. Beim gebauten Schrott hab ich diese Wahl aber nicht. Abhauen bringt da nichts. Der umgibt mich nämlich überall. Fast überall. Also, muss ich jetzt auf ewig leiden, oder wie oder was!? Will ich aber nicht! Ich hab nämlich schon als Kind gelitten. (Also unter gruseligen Stadtbildern, meine ich.) Aufgewachsen bin ich in Herdecke an der Ruhr. Herdecke ist trotz der mich prägenden, sozialdemokratischen Abrissbirne in meiner Kindheit immer noch ein ganz hübscher Ort. Aber wenn’s darum ging, Omma und Oppa zu besuchen, mussten wir immer nach nebenan, nach Hagen. Hagen, meine Damen und Herren, hat eine Menge zu bieten. Ein pittoreskes Stadtbild … gehört nicht dazu! Schon als Kind wollte ich da immer nur ganz schnell wieder weg, und das hatte nix mit Omma und Oppa zutun. Ne, ne, durch die Stadt zu fahren – vor allem durch die Innenstadt – fand ich einfach nur trostlos. Um die Hagener zu beruhigen: Das ging mir in Dortmund, Bochum, Essen, Köln etc. nicht anders. Aber warum war das so?
Irgendwann, Anfang der Achtziger, kam ich als Jugendlicher nach Budapest und ich war völlig beeindruckt, ich dachte: Jesses Maria, so kann Stadt also auch aussehen! Und nach dem Fall der Mauer durfte ich plötzlich die ruinösen, aber wunderschönen alten authentischen Stadtbilder in Ostdeutschland entdecken. Stadtlandschaften, die man im Westen mit der Lupe suchen musste. Görlitz, Wismar, Altenburg, Schwerin, Erfurt, und so weiter, und so weiter.
Ich habe mich sogar so leidenschaftlich in Dresden verknallt (also, in die Stadt, meine ich!), dass ich sie mir nicht mehr ohne Frauenkirche vorstellen konnte und wollte, und ich schließlich Mitglied im Wiederaufbauverein wurde. Und als die steinerne Kuppel endlich wieder stand, war’s für mich völlig normal, und ich dachte nur: Ja, die muss hier einfach stehen! Falls Sie jetzt denken: Oh, Jesses, ein Rekonstruktionsfreund! – dann sag ich: Ja, genau; das hab ich mich ja auch gefragt: Geht denn das? Darf ich das überhaupt? Zumindest eines war klar: Ich fühlte mich, ehrlich gesagt, nur in alten, historischen Städten richtig wohl. Es gab keinen urbanen Raum der Moderne, den ich einer gewachsenen alten Stadt vorgezogen hätte.
Aber, um Gottes Willen, Hilfe! Das durfte doch nicht wahr sein! Was war denn los mit mir?, dachte ich. War ich jetzt Reaktionär? Spießer? Monarchist? Puppenstubenfetischist? Vielleicht sogar Nazi?! Oder alles zusammen? Ich dachte immer, ich sei ein aufgeschlossener, moderner Mensch und Künstler! Ein Kind des 20. und 21. Jahrhunderts. Und nun das! Meine Damen und Herren, mir war klar, ich musste eine Therapie machen! Ich wollte ja modern sein, verdammt noch mal! Und ich will’s immer noch!
Also ging ich durch unsere Städte und schaute sie mir alle an, die liebevoll hingerotzten Kisten und Container. Ich stand vor ihnen, und ich ging in sie hinein, in die Schuhkartons und Geldkassetten. Ich las die Gebrauchsanweisungen ihrer Erbauer und ich dachte: Mit dieser Hilfe wirst du die Schönheit der Bauten erkennen! Ich las die Gesänge der Feuilletonisten, die die klar reduzierte, die zurückgenommene Formensprache bejubelten. Und ich dachte: Ja … gleich … Heureka! Gleich hab ich’s! Plötzlich bekam ich Heißhunger auf Schokolade. Was war’n jetzt? Und dann begriff ich – Ritter Sport ist ja auch quadratisch, praktisch, gut. Und ich wusste: Ich werde den „Würfelhusten“ lieben! Ich wanderte weiter durch unsere Städte und hämmerte mir ein: Du musst auch versuchen, den städtebaulichen Bruch zu lieben. Du musst akzeptieren, dass unsere Städte zerstört und hässlich wiederaufgebaut wurden! Wir alle haben den Krieg zu verantworten – auch du, Jörg Hartmann! – und wir alle verbüßen unsere Schuld städtebaulich bis zum Sanktnimmerleinstag. Wir sind es unserer Schuld schuldig, dass wir unharmonisch bauen. Dass wir das Ensemble verachten. Ich sagte mir: Glas, Beton und Stahl sind unverdächtig und frei von jeder Schuld. Ich sagte mir: Wer damit baut, ist Demokrat. Basta!
Ich schwärmte von unseren modernen, flachen, immer gleichen Dachlandschaften. Von der liebevoll komponierten Haustechnik auf ebenem Kies. Ich begrüßte herzlich alle Investoren, die bereit waren, die altmodische, unmenschliche Parzellenstruktur mit fortschrittlichen Einheits-Riesenriegeln zu überbauen. Und ich sah endlich den Vorteil, meinen Kaffee in klimatisierten Privaträumen, in schönen Shoppingcentern zu genießen.
Ich mied leidenschaftlich die öffentlichen Plätze und war so froh, Wind und Wetter nicht ausgesetzt zu sein. Und ich war glücklich, denn ganz Deutschland lag vor meiner Haustür! Verspürte ich die Sehnsucht, mal Hannover, Karlsruhe, Köln, Mannheim, Stuttgart oder Kassel zu besuchen, so brauchte ich einfach nur nach Dortmund oder Hagen fahren, denn dort sah’s genauso aus! Und ich begriff: Wir leben in einem freien Land und jeder darf bauen wie er will. Seit dem Dritten Reich wissen wir: Regeln sind scheiße! Warum also Regeln im Städtebau? Selbstverwirklichung heißt die Devise! Gebaute Ich-AGs!! In einer Ellbogen-Gesellschaft gibts keine Ensembles! Pah!! Meine Freunde und ich skandierten: Verantwortung ist scheiße! Freies Bauen für freie Bürger!
Und ich ging weiter durch unsere Städte, meine Damen und Herren, und ich lernte, die Wärmedämmung zu lieben! Ich lehnte mein Fahrrad an die pappigen Fassaden und war überwältigt von den tiefen Wunden, die mein Drahtesel riss. Ich blickte auf die Dämmwolle, und die Seele des Hauses blickte auf mich. Ich sagte mir: Es ist ökologisch, wenn wir die Häuser mit Chemie verpacken. Ich begriff: Es fördert die Gesundheit, wenn wir dreißig Stunden am Tag lüften müssen, um nicht zu verschimmeln. Und ich besang den ästhetischen Fortschritt, als hässliches Fachwerk, Stuck und Ornamente endlich hinter Styropor verschwanden! Ich vertraute der Politik, die weiß, was sie tut, wenn nach Kriegszerstörung und Abrisswut nun der dritte Segen für die Baukunst auf uns zukommt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren: Ein dreifaches Hoch auf die deutsche Wärmedämmung! Ein Hoch auf die Wolle an der Wand!! Nein!!! Stopp!!! Aus und vorbei. Es hat nicht funktioniert. Tut mir leid, meine Damen und Herren, aber die Therapie hat nichts gebracht. Im Gegenteil, ich misstraute der Moderne nur noch mehr. Ich sah natürlich einzelne wunderbare Bauten, keine Frage, aber ich traute der Moderne keine schönen Stadträume zu. Als es in Dresden darum ging, das Umfeld der Frauenkirche, den Neumarkt, zu bebauen, da konnte ich mir, ehrlich gesagt, nichts anderes vorstellen als die historische Bebauung. Ich wollte dort einfach keine austauschbaren, anonymen Nullachtfünfzehn-Kisten. Und auch wenn nicht jede Rekonstruktion und nicht jeder Neubau dort heute überzeugen, auch wenn Kleinteiligkeit meist nur vorgetäuscht wird: Ich glaube, die Entscheidung, das Rad am Dresdner Neumarkt nicht komplett neu zu erfinden, war das Beste, was man diesem Ort antun konnte.
Ein Satz noch zu Rekonstruktionen: Ich halte sie da, wo sie ausreichend dokumentiert sind, wo der städtebauliche und baukünstlerische Verlust so groß ist, und die Identität stiftende, die Stadt heilende Kraft so stark, für absolut legitim und richtig. Sogar für notwendig. Voraussetzung ist natürlich, sie sind handwerklich gut gemacht. Doch – keine Bange! – es soll hier nicht um Rekonstruktionen gehen.
Aber: Die Sehnsucht der Bürger nach einem verloren gegangenen Stadtbild drückt ja etwas aus – nämlich die Sehnsucht nach einem schöneren Stadtbild! Und das trauen die meisten Menschen der Moderne einfach nicht zu – verständlicherweise, deshalb der Blick zurück. Aber sie hätten sicher nichts dagegen, wenn die Moderne dazu in der Lage wäre. Ich will ja auch die Moderne! Ich wünsche mir nichts mehr, als dass unsere Zeit es endlich schafft, schöne Stadträume zu erschaffen!
Ich glaube, das, was in Dresden begonnen wurde, was in Frankfurt, in Potsdam und auch in anderen Städten jetzt eine Fortsetzung und Weiterentwicklung erfährt, wird rückblickend als etwas ganz entscheidend Neues in der Entwicklung unserer Innenstädte angesehen werden. Und nicht, weil hier teilweise rekonstruiert wird – nein! – etwas anderes ist viel wichtiger: Durch die Suche nach einem modernen ortstypischen Stadthaus, das qualitativ und ästhetisch mit den historischen Häusern mithalten kann, werden wir endlich wegkommen vom gruseligen Einheitsbrei unserer Städte und hin zu einer neuen Moderne, die begreift, dass Anpassung eine Qualität ist, und nicht der Bruch oder Kontrast. Hin zu zeitgenössischen Häusern, die die lokalen Bautraditionen fortführen, modern interpretieren, die selbstbewusst neu sind, aber sich nicht in den Vordergrund spielen. Häuser, die in der Lage sind, mit der Historie, mit den Nachbarn ein Ensemble zu bilden. Hier werden noch diverse Fehler gemacht werden. Aber das ist nicht schlimm. Fehler müssen gemacht werden. Am Ende aber könnten Moderne und Historie endlich miteinander versöhnt sein, daran glaube ich. Sie glauben sicher auch daran, sonst wären Sie ja nicht hier. Und in diesem Zusammenhang gilt mein ganz besonderer Dank Herrn Prof. Mäckler und Herrn Prof. Sonne und dem ganzen Institut für Stadtbaukunst in Dortmund! Als ich Ihre Grundsätze zur Stadtbaukunst das erste Mal las, dachte ich: Wow! Mein Gott, die drücken doch (in etwas professionelleren Worten) genau das aus, was ich mir schon so lange wünsche! Bevor ich Ihnen meine Version einer schönen Moderne etwas genauer skizziere, möchte ich noch ein paar Punkte benennen, die wir klären müssen. Probleme, die wir unbedingt lösen müssen! Denn tun wir das nicht, werden wir nie zum Erfolg kommen. Selbst dann nicht, wenn wir uns hier alle darüber einig werden sollten, was das moderne, schöne, städtische Haus leisten muss.
Erstens: Die Ideologie
Bevor wir nicht endlich alle Ideologien über Bord werfen und wirklich nur über gute Architektur und guten Städtebau reden – und über sonst nichts! – werden wir nichts erreichen. Gar nichts! Wir sind in diesem Land ideologisch so verkrampft. Wir debattieren nicht sachlich miteinander, wir schießen mit Weltanschauungen aufeinander! Und warum? Tja, da ist sie wieder, die komplizierte böse deutsche Geschichte! Aber wie absurd ist das bei diesem Thema!? Ich meine, wir reden über Städte und Bauten und landen bei Auschwitz?!
Meine Damen und Herren, in ein Gebäude zieht nicht automatisch gelebte Demokratie, nur weil es eine Glasfassade hat. Und kein Bauwerk wird von Neonazis bezogen, nur weil es ein Satteldach hat! Wäre das so, müsste Peking die Hauptstadt einer lupenreinen Demokratie sein. Und in Paris würden die schlimmsten Tyrannen herrschen. Ein kleines Beispiel dazu: Neulich gab es in Potsdam (wo ich wohne) einen Wettbewerb zum sogenannten Langen Stall. Es ging darum, den im Krieg zerstörten Bau zumindest in seiner Grundform, seiner stadtbildprägenden Kubatur wiederherzustellen. Übrig geblieben vom Langen Stall ist immerhin die prachtvolle palladioartige Fassade an der südlichen Stirnseite. Der Reiz des Baus lag im Kontrast zwischen dieser Palastwand und dem ländlichen, scheunenartigen, langen Baukörper dahinter. Und der wurde bekrönt von einem extrem steilen, sehr hohen Satteldach. Neunzehn Architekten nahmen am Wettbewerb teil, aber nur einer entwarf auch den Neubau mit einem Satteldach. Beim Betrachten dieses Satteldachs sagte schließlich ein Kollege, der seinen Entwurf wie alle anderen auch mit einem Flachdach gekrönt hatte: „Respekt, das hätte ich mich nie getraut!“
Liebe Architekten, trauen Sie sich! Befreien Sie sich! Und bauen Sie ruhig mal ein Satteldach, wenns angebracht ist! Sie sind deswegen weder spießig, noch von gestern oder „’ne rechte Socke“! Und es glaubt deswegen auch keiner, dass Sie sich Gartenzwerge vors Haus stellen. Bauen wir so, wie es die Umgebung erfordert und schmeißen wir die Ideologien endlich auf den Müllhaufen!
Zweitens: Der Bruch
Die klassische Moderne wollte den radikalen Bruch, und das ist aus der Zeit heraus, in der sie entstanden ist, nachzuvollziehen und zu verstehen. Sie wollte den Bruch, weil sie eine bessere Welt erschaffen wollte. Aber macht der Bruch heute noch Sinn? Erschafft er noch eine bessere Welt? Die Moderne hat ihre Ziele aus den Augen verloren, der Bruch ist zum krampfhaften Zwang geworden, zur Attitüde verkommen, zur eitlen Pose. Die Moderne hat sich vom Renditedenken vor den Karren spannen lassen und entwirft effekthascherische Solitäre für Konzerne – gebaute Firmenlogos. Billige Cineplex- und Gewerbegebietsarchitektur im Herzen der Stadt. Sie baut keine Umgebung für den Menschen. Keine Baukörper, die man gerne anfasst, die Optik und Haptik bieten. Mit ihren künstlichen Baustoffen baut sie schon rein physisch eine Distanz – einen Bruch – zum Menschen auf. Der Mensch als ein natürliches Wesen hat kein Verlangen danach, diese unnatürlichen Materialien anzufassen. Der Mensch will die ihn umgebenden Häuser nicht berühren, also berühren die Häuser auch den Menschen nicht!
Ist der Mensch nicht das Maß aller Dinge, soll die Moderne doch dahin, wo der Pfeffer wächst! Und: Sie sollte pfleglich mit den Ressourcen umgehen! Von daher sollte nur dort neu gebaut werden, wo ein Neubau wirklich besser ist als der Vorgängerbau. Und in einem Land wie Deutschland, das demografisch bekanntlich schrumpft, ist es unverantwortlich, wenn wir es weiter zulassen, ganze Landstriche mit den immer gleichen und geschmacklosen Reihenhaussiedlungen und Gewerbebauten zu verunstalten. Mit welchem Recht schimpfen wir eigentlich über die Abholzung des Regenwaldes, wenn wir in einem der reichsten Länder der Erde weiterhin wertvollen Boden versiegeln? Oder sind Felder und Ackerflächen nicht wertvoll genug? Ich muss es so sagen: Dieser Drang auf die grüne Wiese, diese fortwährende Vermüllung unseres Landes muss endlich beendet werden!
Gestalten wir unsere Städte so lebenswert, dass wir in ihnen leben und arbeiten wollen. Kurze Wege sind ökologisch und deshalb modern. Kreieren wir eine neue Moderne, die den Namen wieder verdient, weil sie wirklich eine bessere Welt erschafft! Zurück zum modernen „Bruch-Zwang“: Es heißt, auch die alten Städte haben den Bruch zelebriert und wurden dadurch erst attraktiv: groß neben klein, Gotik neben Barock und Jugendstil, usw. Ja, klar, aber alle Epochen vor der Moderne basierten immerhin noch auf dem gleichen Formenkanon, alle Fassaden waren klassisch aufgebaut, alles fußte auf dem Geist und Repertoire der abendländischen Architektur; das Material war gleich (oder ähnlich) – in der Regel das des Ortes –, auf jeden Fall natürliches Material. Aber die Moderne brach mit allem, nichts passte mehr zusammen. Alles Gewesene wurde plötzlich negiert. Man kann aber nicht alles negieren, was war – nirgendwo! Man knüpft immer auch an Vergangenes an!
Drittens: Die Kosten
Werden wir an dem Versuch, schöne Städte zu bauen, schon allein deshalb scheitern, weil wir sparen müssen? Ist Schönheit eine Frage des Geldes? Ich sage: Nein! Das Wichtigste sind Proportionen und der richtige Maßstab – und die kosten gar nichts. Für die braucht man nur ein Gespür. Und wenn mans nicht hat, muss mans halt lernen! Kann man das denn lernen? Wird das überhaupt gelehrt? Wie sieht’s aus mit der Ausbildung unserer Architekten? Weiß der Nachwuchs genug über Maßstäbe und Harmonien? Über Stadtensembles? Über Baugeschichte? Über die europäische Stadt? Über die Abfolge von Plätzen und Straßen? Über Komposition? Über die Möglichkeit, Vielfalt in der Einheit zu gestalten? Über die Kunst der selbstbewussten Anpassung? Oder werden hier lauter miteinander konkurrierende Alphatierchen herangezogen, deren Ziel es ist, mit möglichst aufsehenerregenden Bauten in die Architekturzeitschriften zu kommen? Es allen zu zeigen? Auf dem Weg zum Stararchitekten? Noch ein Satz zum Architektennachwuchs: Da gibt es bestimmt etliche ideologiefreie Talente. Also, lasst die Jungen und Unbekannten noch mehr ran! Es kann doch nicht sein, dass man nur an einem Wettbewerb teilnehmen darf, wenn man eine entsprechende Bauaufgabe schon mehrmals gestemmt hat. Das wäre ja so, als dürfte ich den Hamlet nur spielen, wenn ich ihn vorher schon an vier anderen Theatern gespielt hätte.
Absurde Vorstellung!
Zurück zu den Kosten: Wenn massiv gebaut wird mit gutem Material, kostet’s natürlich erstmal mehr. Aber doch nicht auf Dauer! Sie können sich bei H&M für ’n Appel und ’n Ei einen Pullover kaufen und ihn nach einem halben Jahr wegwerfen, weil er dann schon oll, schäbig und ausgeleiert ist. Oder Sie investieren etwas mehr und kaufen sich gleich einen vernünftigen Pullover. Von dem haben Sie aber auch lange was. Was müssen wir also tun? Wir müssen für Bauherren sorgen, die sich einen vernünftigen Pullover kaufen, weil sie ihn selber und lange tragen wollen. Renditegeile Investoren, die billige Bauten hinrotzen, einfach nur um sie meistbietend ganz schnell wieder loszuwerden, sollten von den Städten auf den Mond geschossen werden! Und damit bin ich bei Punkt vier: Der Verantwortung.
Verantwortung für unsere Städte!
Am Theater nennt man Schauspieler, die eine Menge Mätzchen auf der Bühne veranstalten und um Aufmerksamkeit buhlen, Rampensäue. Die gibts auch im Städtebau. Aber hier wie da machen Rampensäue noch keine gute Qualität aus. Um gut zu sein, muss man zusammenspielen. Ein ENSEMBLE sein!!
Umso erstaunlicher ist, dass heutzutage anscheinend jeder bauen darf, wie er will. Das ist schon auf der grünen Wiese schwer zu ertragen, aber im Herzen der europäischen Stadt ist es verantwortungslos und müsste verboten sein. Jeder, der baut, muss einen Beitrag leisten für die Stadt!
Die Fassade ist das Gesicht der Stadt, das Gesicht des öffentlichen Raums. Aber weil heute alles erlaubt ist, was gefällt, weil Individualismus und Selbstverwirklichung unsere Religion sind, darf mans auch beim Bauen ganz besonders bunt treiben. Freies Bauen für freie Bürger! Das ist ja das Credo der Moderne: sich abzugrenzen, den Kontrast zu bauen. Sich selbstbewusst einzufügen, wird ja nicht gelehrt, wäre aber die eigentliche Kunst – und vor allem die menschliche! Die Moderne könnte hier Vorbild für die Gesellschaft sein!
Teamarbeit muss die Devise sein! Nicht die Egomanie! Aber auch viele Kommunalpolitiker, Stadtverordnete und Mitarbeiter der Stadtverwaltungen glauben ja, dass sie Gutes tun, wenn sie möglichst modischen Schnickschnack in ihre Städte knallen. Strichcodefassaden beispielsweise sind grad sehr angesagt … Oder aus der Reihe tanzende Fenster. Alles Schnickschnack, allein mit dem Ziel der Abgrenzung. Schnickschnack, der schon kurz nach der Einweihung nur noch peinlich und altbacken wirkt. Alles Unverschämtheiten, für die ich die Leute, die das verantworten, am liebsten verknacken würde. (Darf ich ja jetzt, bin ja Kommissar von Beruf!) Und auch die Feuilletons jubeln bisweilen, schließlich muss ja auch das 21. Jahrhundert zum Zuge kommen. Man hat Dubai gesehen, Peking und London, und denkt: „Wow, die sind so cool in London!
Toll, was die für Hochhaus-Gurken und ‑Scherben und Was-weiß-ich-nicht-Alles in ihre alte City knallen!“ Aber das ist alles Quatsch! Alles Mumpitz, weils kein guter Städtebau ist, sondern eitler und menschenfeindlicher Turbokapitalismus. Das ist falsch verstandenes Fortschrittsdenken. Fortschrittlich ist es, menschlich zu sein! Und wenn manche sagen: Vielen Leuten gefällt das! Das sind wenigstens keine Nullachtfünfzehnhäuser!
Dann sage ich: Es schauen auch sieben Millionen das Dschungelcamp, aber das ist deswegen noch lange kein gutes Fernsehen! Die Menschen rennen auch in Einkaufscenter wie verrückt, trotzdem ist es verantwortungslos, wenn der immergleiche Investor jede deutsche Stadt mit seinem Shopping-Schrott beglückt! Und sich die Stadt auch noch beglücken lässt! Es ist eben nicht alles gut und erlaubt, was gefällt. Wenn ich auf den Schulhof gehen würde, um Drogen zu verschenken, hätte ich auch großen Erfolg. Ich mach’s aber nicht, weil ich Verantwortung habe! Im Städtebau ist es die Verantwortung der Architekten – und der Bauherren!
Und vor allem die der Politik und der Stadtverwaltungen! Jede Stadt muss selbst klar definieren, was in ihr möglich ist und was nicht. Und wenn die Stadt es nicht weiß, (denn es gibt, man mag’s kaum glauben, eine Menge Entscheidungsträger, die keine Ahnung haben und kein Gespür für ihre Stadt), dann müssen halt Leute her, die Ahnung haben – auf jeden Fall eine übergeordnete Gestaltungs- und Entscheidungskompetenz! Und die darf nicht durch die kommunalen Parteienkämpfe zerrieben werden. Wir brauchen eine langfristige, umfassende Stadtplanung! Wir können nicht mit jeder Stadtratsitzung wieder alles über den Haufen schmeißen. Und ein guter Unternehmer- und Investorengeist, der drückt sich nicht so aus: „Ihr könnt froh sein, dass ich überhaupt in eurer Stadt baue, also darf ich machen was ich will!“ Nein, ein guter Unternehmer darf in der Stadt bauen, er profitiert von der Stadt und tut deshalb gerne etwas Gutes für die Stadt. Und dann wird natürlich gemauschelt und geklüngelt in Deutschland, was das Zeug hält. Es gibt Seilschaften, Korruption, Männerfreundschaften, richtige Musketiere: „Einer für alle, alle für einen!“ Wenn Menschen aus der Politik, aus den Stadtverwaltungen, Unternehmer und Stadtverordnete miteinander essen gehen und bei Speis und Trank sich ewige Treue schwören, dann ist das selten gut.
Also: Entfilzen, entfilzen, entfilzen!
Und das muss gesetzlich geregelt werden, von ganz oben, anders geht’s nicht. Das ist mein Gruß nach Berlin und an den Bundestag! Wenn ich schon mal dabei bin, schicke ich gleich noch einen Gruß nach Berlin, denn das folgende Problem kann auch nur dort gelöst werden! Der deutsche Wärmedämmwahn Dass wir alle ökologisch sein wollen, setze ich mal voraus. Dass wir nicht unsere Energien verpulvern dürfen, ist auch klar. Aber was passiert mal wieder in Deutschland? Blinder Aktionismus, der alle Hausbesitzer zwingt, ihre Häuser mit Chemieprodukten zu verpacken. Unglaublich ökologisch in der Herstellung und Entsorgung! Toll! Dass zum Beispiel Gründerzeithäuser so massiv gebaut sind, dass sie diesen Mumpitz gar nicht nötig haben, interessiert keinen, denn es kurbelt ja die Bauwirtschaft an und lässt einige Wenige gut verdienen. Vor allem BASF! Dass kein Mensch so viel lüften kann, wie die Dämmpappe es erfordert, ist auch nicht wichtig. Dass der Schimmel sich munter ausbreitet, dass ein Haus atmen muss, dass es rein ästhetisch und baukünstlerisch eine Katastrophe ist, dass wir alle bald todkrank sein werden … Egal!
Liebe Entscheidungsträger in Berlin und anderswo: Betrachten Sie das Thema differenziert und schießen Sie nicht übers Ziel hinaus! Viele Häuser brauchen keine Dämmwolle, für Neubauten gibt’s auch Dämmsteine und, und, und … Es gibt jede Menge Lösungen – erzwingen Sie keinen Unsinn, denn nur massive Häuser altern mit Würde und geben den Städten die Erscheinung, die sie brauchen! Also Schluss mit dem Dämmwahn! Styroporhäuser sind der Tod der Baukunst, der Tod unseres architektonischen Erbes, der Tod unserer Städte!
Letzter Punkt: Die Bauregeln
Zu allem Überfluss denken sich dann noch irgendwelche Menschen an irgendwelchen Schreibtischen irgendwelche Regeln aus. Sie tun das, weil sie im Ausdenken von Regeln ihre Daseinsberechtigung sehen. Leider sind diese Regeln oft sehr schwachsinnig, und dummerweise ersticken sie jedes urbane Leben schon im Keim. Wenn zum Beispiel irgendwo Gastronomie entstehen soll, um ein bisschen Schwung in die urbane Bude zu bekommen, aus diesem Grund aber Wohnungen ausgeschlossen sind, weil ja die Bewohner ein Recht auf Ruhe haben und klagen könnten, dann kann doch irgendwas nicht stimmen! Man mag’s kaum glauben, aber es soll auch Menschen geben, die in die Stadt ziehen, gerade weil es da nicht ganz leise ist. Das ist nämlich urban. Das ist lebendig. Wer’s still mag, kann ja aufs Land ziehen. Oder leider immer noch auf der grünen Wiese den Boden versiegeln.
Wie soll also das schöne, normale und moderne Stadthaus von morgen aussehen?
Will man modern sein im innerstädtischen Kontext, gibts zurzeit drei Tendenzen. Entweder man reduziert die Formensprache so, dass am Ende nur beschämende Einfallslosigkeit herauskommt: Man will sich zurückhalten, dem Minimalismus frönen, landet aber nur bei der öden Kiste, dem tristen Container. Oder man entscheidet sich eben für das marktschreierische Knallbonbon, für die Ich-AG, für das Scheißen auf die Nachbarschaft. Beides eine Art der typisch modernen Abgrenzung, die wir überwinden müssen. Es gibt noch eine dritte aktuelle Tendenz: eine Art neuen Klassizismus. Meist in Form von Wohnbauten für Besserverdienende. Die bieten in der Regel lebendige Fassaden mit Struktur und Relief. Das find ich gut und das tut dem Auge gut. Aber dieser neue Klassizismus sieht halt überall auch irgendwie gleich aus, und er wirkt auch nicht wirklich – wie soll ich sagen? – innovativ, originell …
Gibt es einen vierten Weg?
Ja! Grundvoraussetzung für das neue städtische Haus muss es sein, den Geist des Ortes zu erkennen und zu begreifen. Wir brauchen eine genaue Kenntnis der lokalen Baugeschichte und der Vorgängerbauten. Wir müssen die lokale Bautradition modern interpretieren und sie weiterführen, um eine Austauschbarkeit zu vermeiden. Um Identität zu stiften. Wenn ich ein Foto der betreffenden Stadthäuser sehe, möchte ich gleich erkennen können, um welche Stadt es sich handelt. Welches Material ist typisch für den Ort? Welcher Formenkanon? Und wie kann man das zeitgenössisch interpretieren? Grundlage muss das Gedächtnis der Stadt sein. Ein starker Stadtgrundriss verträgt auch einzelne schlechte Bauten. Ein schlechter Stadtgrundriss nicht.
Der Mensch muss das Maß aller Dinge sein!
Deshalb müssen wir kleinteilig bauen, denn Kleinteiligkeit entspricht dem Menschen (der sich zu Fuß durch die Stadt bewegt). Und diese Kleinteiligkeit sollte, wo immer möglich, echt sein und nicht nur vorgetäuscht. Stadthäuser in dieser menschlichen Größe (das ist der Vorteil) können auch von Bürgern der Stadt errichtet werden. Sollten sogar! Von Bürgern, die einen Bezug zu ihrer Stadt haben, im besten Falle sogar in diesen Häusern leben und/oder arbeiten. Die Stadt darf nicht von Investoren gebaut werden, denen die Stadt scheißegal ist! Und wir müssen uns bei der Materialwahl beschränken; es bringt keine Punkte, wenn wir Ziegel, Putz, Beton, Natursteine, Glas, Metall, usw. bunt nebeneinanderknallen. Das bringt keine Abwechslung, das bringt Unruhe! Und vor allem wieder nur Abgrenzung! (Meine wichtigsten Worte, deshalb kann ich sie gar nicht oft genug wiederholen: Ensemble bauen! Abgrenzung verhindern!) Schauen wir, welches Material für den Ort typisch ist und versuchen wir, uns darauf zu beschränken. Die schönsten Städte auf diesem Planeten sind alle aus wenigen Materialien erbaut. Oft dominiert nur ein einziges.
Dann brauchen wir vernünftige Dächer! Keine abgeschnitten Häuser mit Haustechnik und Mobilfunkantennen oben drauf. Eine abwechslungsreiche, schöne Dachlandschaft gehört zu einer schönen Stadt dazu. Dächer sind die Köpfe unserer Häuser, aber was tun wir? Wir köpfen unsere Häuser! Es wird auch weiterhin viel regnen in Deutschland, trotz des Klimawandels, meine Damen und Herren, und das Wasser wird auch in Zukunft, der Schwerkraft folgend, nach unten fließen wollen. Wir leben nicht in der Sahara. Warum also ist das Flachdach zu einem modernen Dogma geworden?
Der rechte Winkel ist genauso ein Dogma geworden. Warum? Im Sozialismus nannte sich alles Kunst, was eine rote Fahne hatte. In der Moderne ist alles Kunst, was einen rechten Winkel hat. Darf in der Moderne kein Dreieck mehr vorkommen, kein Kreis? Hat man Angst, man landet dann gleich bei der Postmoderne, bei einer historisierenden Architektur?
Wir können die Dinge in der Natur schon von Weitem durch ihre typischen Grundformen erkennen und unterscheiden. Aber heute erkennt ein Schulkind sein Zuhause nur daran, weil die Mülltonne davor rot angemalt ist. Die Möglichkeiten des rechten Winkels sind naturgemäß begrenzt. Fehlen andere Formen, fehlt auch dem Menschen etwas. Der Mensch ist nun mal ein sinnliches Wesen. Und die gebaute Umwelt muss ihm etwas bieten, muss seine Sinne befriedigen. Wie sollen die glatten, kühlen und monotonen Fassaden der Moderne dies leisten? Warum gibt es keine Details mehr? Dekorationen? Kann die Moderne das nicht? Oder darf sie’s nicht? Warum sollte man nicht in der Lage sein, zeitgemäße Ornamente zu finden? Wir brauchen sinnliche Details, an denen das Auge Halt findet. Große glatte Lochfassaden sind leblos, tot. Egal wie die Sonne steht, es gibt kein sich veränderndes Licht- und Schattenspiel. Deshalb brauchen wir Struktur, Relief, Profil, Tektonik, Details – lebendige Fassaden, Straßenräume mit Rhythmus.
Urbane Räume muss man komponieren. Es muss gewährleistet sein, dass eine übergeordnete Stelle das Ganze im Blick hat und dafür sorgt, dass ein Ensemble entsteht! Ich wiederhole das Wort schon wieder: ENSEMBLE! Wir müssen Ensembles erschaffen! Die Vielfalt in der Einheit! Ist es denn wirklich so schwer, die lokale Bautradition ins 21. Jahrhundert weiterzuführen? Unverwechselbare, ortstypische Häuser zu bauen, die mit ihren Nachbarn eine schöne Gemeinschaft bilden, die all das bieten, was wir an den alten Häusern so lieben, und die trotzdem ganz und gar Kinder unserer Zeit sind, selbstbewusst und modern? Ich frage Sie – kann man das nicht schaffen?
Wir müssen das hinkriegen! In Abgrenzung zum International Style, der unsere Städte in aller Welt gleich aussehen lässt und nur durch Abgrenzung funktioniert, hätte ich für diese lokale ensemblefähige Moderne einen Namensvorschlag: Local Style! Davon träume ich: von einem Local Style! Aber eines steht fest: Wir werden nicht viel erreichen, wenn dieses Thema die schönen Rheinterrassen hier nicht verlässt! Wenn wir nicht in der breiten Öffentlichkeit darüber diskutieren! Wir verbringen unser ganzes Leben in gebauter Umgebung, das Erscheinungsbild unserer Städte prägt uns alle, es hat direkten Einfluss auf unser aller Körper und Seelen, auf unsere Gesundheit, auf unser Miteinander. Das Thema hat eine solche gesellschaftliche Relevanz, es müssen alle darüber reden! Auch der Bundestag! Wir müssen endlich auf allen Ebenen gegen die fortwährende Verhässlichung unserer Städte kämpfen!
In diesem Sinne wünsche ich uns allen zwei anregende, Impuls gebende Tage! Eine freudige, kreative und vor allem ideologiefreie Debatte! Und am Ende des Weges wunderschöne Städte in unserem Land!
Vielen Dank!