Ein kleiner Schritt zur Rettung des Berliner Stadtbilds
Entwurf: EckertNegwer Suselbeek, Berlin/ Baumeister und Dietzsch, Berlin
Foto: C4C Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen Berlin
Das Ergebnis des ersten Architektenwettbewerbs für den Molkenmarkt macht Hoffnung auf Trendwende
Die Begrüßung von Petra Kahlfeldt durch eine Gruppe prominenter Architektenkollegen hätte kaum unverschämter ausfallen können. Sie hatte das Amt als Berliner Senatsbaudirektorin noch gar nicht angetreten, geschweige denn irgendwelche programmatischen Aussagen getroffen, da wurde ihr zur Jahreswende 2021 auf 2022 in einem offenen Brief unterstellt, sie werde eine reaktionäre Architekturpolitik betreiben. Der örtliche Bund Deutscher Architekten entblödete sich nicht, das durchsichtige Spiel mitzuspielen.
Dass Anlass für einen planungspolitischen Kurswechsel bestand, hätte allen Beteiligten klar sein müssen, unabhängig von ihrer architekturpolitischen Position. Zu unbefriedigend waren die Ergebnisse der Ära von Senatsbaudirektorin Regula Lüscher und deren Chefin, Stadtentwicklungssenatorin Karin Lompscher. Zu ihrer Zeit wurden linke Blütenträume geträumt, in der harten Realität entstand aber vor allem gesichtslose und hochpreisige Investorenarchitektur, die dazu beitrug, dass Berlin seinen Bürgern immer fremder wurde und an Anziehungskraft auf Touristen verlor. Das Europaviertel nördlich des Hauptbahnhofs ist nur die prägnanteste Ausprägung dieser Fehlentwicklung, deren Folgen ähnlich allerdings auch in vielen anderen deutschen Städten zu besichtigen sind.
Es war die damalige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, die die Kurskorrektur in der Planungspolitik anstieß. Kahlfeldts Berufung als Senatsbaudirektorin war der personelle Ausdruck des politischen Willens zu mehr handwerklicher Solidität. Kahlfeldt weiß sich in ihren Rollenverständnis einig mit ihren Vorgesetzten - auf Andreas Geisel folgte im April 2023 im Amt des Stadtentwicklungssenators Christian Gaebler. Der kündigte nach Amtsantritt an, nicht nur möglichst viel Wohnraum schaffen zu wollen, sondern dabei auch gestalterischen Ehrgeiz zu entwickeln. Es gehe darum, lebendige Quartiere zu schaffen, deren Bewohner sich dort zu Hause fühlen können.
Zu dem Zeitpunkt hatte Kahlfeldt schon begonnen, die Planungen für den Molkenmarkt nach einem missglückten städtebaulichen Wettbewerb neu zu ordnen. Ihr durchaus robustes Vorgehen, mit dem sie das Wettbewerbsergebnis faktisch aufhob, ließ sich durch die Bedeutung des Gegenstandes rechtfertigen: Beim Molkenmarkt handelt es sich um den historischen Kern von Berlin, der im 20. Jahrhundert gleich dreimal zerstört wurde: Erst ließen die Nationalsozialisten Teile der Altstadt abreißen, um dort ihr Gauforum zu errichten. Dazu kam es nicht mehr, vielmehr setzten alliierte Bomber das Zerstörungswerk fort, das von den Verkehrsplanern der DDR vollendet wurde, die eine achtspurige Durchgangsstraße über das Areal legten.
Die Chance, diesen besonderen Ort neu zu gestalten, galt es zu nutzen. Gaebler und Kahlfeldt entwickelten einen Rahmenplan für das Areal. Mit ihm suchten sie einen Mittelweg zwischen den beiden Lagern, die sich unversöhnlich gegenüberstehen: Auf der einen die Stiftung Mitte Berlin, die eine weitgehende Wiederherstellung des historischen, sehr kleinteiligen Stadtbilds befürwortet, errichtet möglichst von privaten Bauherren, auf der anderen Seite die Freunde einer durchgrünten Ansammlung modernistischer Solitäre, die als ökologisch-soziales Musterquartier daherkommen soll.
Stattdessen wurde eine ziemlich stark verdichtete, klassische Blockrandbebauung beschlossen; mittelgroße Parzellen sollen ein abwechslungsreiches Erscheinungsbild ermöglichen, wobei die Gestaltungsfreiheit der Architekten durch konservative Regeln aus der Feder ihres Frankfurter Kollegen Christoph Mäckler eingehegt wird. Eine vielfältige Nutzungsmischung aus Wohnen, Gewerbe und Kulturangeboten ist gesetzt; die Hausgrößen wie die Anordnung der verschiedenen Nutzungen werden dabei von den Straßen und Gassen und dem jeweiligen Verkehrsaufkommen her gedacht.
Dieser Tage ist nun der Architektenwettbewerb für die ersten drei Baufelder des sogenannten Block B entschieden worden; er liegt direkt gegenüber dem Roten Rathaus an der Ecke von Grunerstraße und Molkenmarkt. Mit dem Ergebnis können die Initiatoren zufrieden sein. Sie haben die erhoffte Vielfalt in der Einheit erhalten. Mit dem ersten Preis für das sogenannte Los 3, dem aufgrund seiner prominenten Lage an der Ecke von Grunerstraße und Molkenmarkt eine besondere Bedeutung zukommt, wurde die Arbeitsgemeinschaft der Büros Eckert Negwer Suselbeek und Baumeister und Dietzsch (beide Berlin) ausgezeichnet. Ihr Entwurf sieht für den auch mit der Anzahl der Geschosse hervorgehobenen Eckbau einen hohen Laubengang entlang der Grunerstraße vor, die Ecke ist mit einer diagonal gestellten Kalotte hervorgehoben. Die beiden Gebäude, die sich südlich anschließen, sollen ebenfalls stark ausgearbeitete Fassaden mit markant hohem Erdgeschoss erhalten, gekrönt von steilen Dächern.
Östlich schließt sich Los 1 an; hier setzte sich die Arbeitsgemeinschaft der Büros Hild und K, Happel Cornelisse Verhoeven und Modersohn & Freiesleben (München, Rotterdam und Berlin) durch. Auch in diesem Fall setzt ein Eckhaus mit Arkadengang einen Akzent. Los 2, das wegen seiner Lage im Blockinneren weniger im Vordergrund stehen wird, haben Euro Duplex Architekten, Gort Scott und Kim Nalleweg Architekten (Hamburg, London und Berlin) gewonnen.
Viel hängt davon ab, inwieweit die Wettbewerbsideen in den ausgeführten Bauten Niederschlag finden. Die prognostizierten Baukosten liegen bei durchschnittlich 4800 Euro pro Quadratmeter und damit deutlich über den 3850 Euro, die bisher von der Geschäftsführung des Bauherrn, der städtischen Wohnungsgesellschaft WBM, als Obergrenze genannt wurden, auch mit Blick darauf, dass die Hälfte der Wohnungen mietpreisgedämpft zu planen sind. In der Überarbeitung der Entwürfe müssen gestalterische Wünsche und finanzielle Möglichkeiten zur Deckung gebracht werden. Ganz unabhängig von der historischen Bedeutung des Areals wäre es auch im Sinne einer betriebswirtschaftlichen Nachhaltigkeit bedauerlich, wenn sich die Gestaltung in Richtung von billigem Massenwohnungsbau verschieben würde. Immerhin - gemessen daran, wie heftig zuvor um die Bebauung des Molkenmarkts gestritten worden ist, lassen feindselige Reaktionen auf sich warten.
Autor: Matthias Alexander
Erschienen in der F.A.Z., 21.11.2025, Nr. 271, Feuilleton, S. 13
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